Abschied von Patriarch Pavle: Beerdigung als Machtdemonstration (2024)

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Die serbisch-orthodoxe Kirche gestaltet Beerdigung ihres Oberhauptes als eine Machtdemonstration gegenüber dem Staat. Die Frage der Nachfolge ist derzeit noch völlig offen.

Von Andrej Ivanji

BELGRAD taz | Das Zentrum Belgrads ist für den Verkehr gesperrt. Rund 200.000 Menschen folgen am Donnerstag bedächtig dem offenen Sarg, in dem der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche, Pavle, liegt. Orthodoxe Würdenträger führen die Kolonne zur Kathedrale des Heiligen Sava.

Es ist der größte moderne orthodoxe Kirchenbau der Welt. Nach dem Ende des Kommunismus, im zerfallenden Jugoslawien, sollte der Bau das orthodoxe Serbentum glorifizieren und angesichts des ideologischen Vakuums den Serben zur Wiederentdeckung einer eigenen Identität verhelfen.

Der Totenmesse wohnt die gesamte serbische Regierung bei. Angereist sind auch Gäste aus dem Ausland. Der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. zelebriert den Trauergottesdienst. Redner erinnern an die Bescheidenheit von Pavle, den die Serben auch den "wandelnden Heiligen" nannten. Sie liebten ihren Patriarchen, der seine Schuhe selbst reparierte und mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhr.

Während der dreitägigen Staatstrauer sollen rund eine halbe Million Menschen dem am Sonntag verstorbenen Patriarchen die letzte Ehre erweisen. Stundenlang warteten sie in der Schlange, um die Ikonen über dem offenen Sarg, das Kreuz in der Hand des Toten, das Pavle selbst aus Holz geschnitzt hatte, küssen zu können.

Als geschmacklos, gar blasphemisch wurde vereinzelte Kritik zurückgewiesen, dass das Gesetz die öffentliche Aufbahrung von Leichen verbiete und dass das massenhafte Abküssen der Ikonen während der Schweinegrippe unvernünftig sei.

Schulen und Universitäten sind während der Staatstrauer geschlossen, die Regierung empfehlt Arbeitgebern, ihren Angestellten am Tag der Beisetzung des Patriarchen freizugeben. Der Staat organisiert kostenlos den Transport aus allen Landesteilen nach Belgrad.

Für den Professor der philologischen Fakultät, Ljubisa Rajic, geht das alles zu weit: "Der Staatsapparat lässt eine Klerikalisierung des Staates zu", kritisiert er. Die Religion werde mit der Nation gleichgestellt und die Maximen eines säkularen Staates missachtet.

Die imposante Beisetzung von Patriarch Pavle ist gleichzeitig eine Machtdemonstration der serbischen orthodoxen Kirche, die ihre Ambition, sich in staatliche Angelegenheiten einzumischen, nicht verheimlicht. Erst vor wenigen Tagen holte sich Serbiens Außenminister, Vuk Jeremic, den Segen der Heiligen Synode der serbisch-orthodoxen Kirche für den Besuch von Staatspräsident Boris Tadic im Vatikan.

Frustrierender als diese unterwürfige Geste der Staatsmacht gegenüber der Kirche war für bürgerliche Gruppen, dass die meisten Serben das als völlig normal ansahen.

Hinzu kommt, dass ein Teil der serbischen Kirche in den großserbischen Nationalismus in den 1990er-Jahren eingebunden war. Auch Patriarch Pavle versäumte es, die serbische Soldateska während des Krieges öffentlich zu verurteilen. Die Kirche wandte sich erst gegen Slobodan Milosevic, als dieser die von Radovan Karadzic angeführten bosnischen Serben im Stich ließ.

In einem von sozialer Misere geprägten Staat, in dem die Menschen immer weniger Hoffnung in die als korrumpiert verrufenen staatlichen Institutionen setzen, wittert die Kirche ihre Chance, den orthodoxen Glauben als die herrschende staatliche Ideologie zu etablieren.

Unter ständigem Druck von Neuwahlen liebäugeln Politiker aller Farben mit orthodoxen Würdenträgern, um sich die Gunst der Gläubigen zu sichern. Doch wer die Nachfolge Pavles antritt, ist offen. Der Kampf um seine Nachfolge zwischen der konservativen und etwas moderneren Fraktion hat schon lange längst begonnen.

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7 Kommentare

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  • S

    Serbe

    @ Daniela, Christine...

    Ich verfolge die Artikel von Rathfelder und Co. immer sehr kritisch, verstehe in diesem Fall aber die Aufregung nicht! Kritik ist sehrwohl angebracht.

    Es ist nämlich nun einmal leider sehr wohl so das die orthodoxe Kirche in dem säkularen Staat Serbien eine starke klerikal(-faschistische) Politik betreibt.

    Ich hoffe sehr das der liberalere Flügel das Sagen übernehmen wird.

  • AE

    Angehöriger einer vojvodinischen Minderheit

    @ Serbenfreund

    Möglicherweise weiss Herr Ivanji doch besser bescheid als sie.

    Nur als Beispiel:

    Mehrsprachige Ortschilder gibt es tatsächlich. Genauso ist aber oftmals der nicht-serbische Ortsname durchgestrichen oder unkenntlich gemacht, oder es wird ganz darauf verzichtet.

    Serbien ist noch lange kein Vorbild für Minderheitenrechte! Es gibt genug Probleme!

  • R

    rudi

    lieber serbenfreund, wo sind in serbien minderheitsrechte, die minderheiten anderer volksgruppen wurden doch alle vertrieben, wenn nicht gar getoetet

  • C

    Christine

    @ Albrecht

    Herr Albrecht,

    anstatt hier Kommentaren zu schreiben und andere zu kritisieren, unternehmen Sie bitte was anderes!

    Heute ist doch Sonntag, Familientag, Hitler ist im Fernsehen zu gucken.

  • A

    Albrecht

    @Daniela

    Als erwachsener Mensch sollten Sie doch endlich lernen, mit Kritik umgehen zu können.

    Sie glauben gar nicht, wie sehr sie mit solchen Kommentaren sich selbst und Ihren Landsleuten schaden.. Bitte suchen Sie sich ein anderes Forum dafür.

  • S

    Serbenfreund

    Und wiedermal das übliche Herumgehacke auf Kosten der Serben.

    Immer das Gleiche bei der TAZ. Siehe Herr Rathfelder und seine Lieblingsthemen Kosovo, BiH und, und, und.

    Und neulich erst zur Abwechslung Herr Ivanji mit der Vojvodina. Vielleicht sollte mal die TAZ erwähnen, dass Serbien ein Vorbild für die Nachbarländer ist, was Autonomie und Minderheitenrechte betrifft. Das müsste Andrej Ivanji eigentlich wissen. Laut Wikipedia kommt seine Familie aus dem serbischen Westbanat (Veliki Bečkerek, heute Zrenjanin), was ein Teil der autonomen Vojvodina ist.

    Da hilft ein Blick über den Gartenzaun: Z.B. anderssprachige Ortsnamenschilder - in Serbien (Vojvodina): normal, in Rumänien: Fehlanzeige.

    Das Temeschburger (Ost-)Banat ist, wie Siebenbürgen und die anderen Minderheitengebiete auch, dagegen total in den zentralistischen rumänischen Staat eingegliedert und dadurch einer entsprechenden Romanisierung ausgesetzt. Darüber könnte z.B. mal William Totok schreiben.

  • D

    Daniela

    Es waren 500.000 Menschen die gekommen sind um unserer Heiligkeit zu Beerdigen.

    Und ich finde eure sprüche so primitiv das es schon lächerlich ist.

    Warum müsst Ihr immer uaf uns Serben rumhacken, lasst uns doch einfach in frieden.

    Wenn es Tradition ist Ihm die Hand oder die Ikone zu küssen dann ist das so und akzeptiert das so.

    Mein Sohn liegt im Bett mit Schweinegrippe und die ist total harmlos nicht so wie Ihr Journalisten das schlimm redet.

    Kümmert euch mal lieber um den Hunger in der dritten Welt anstatt immer auf andere rumzuhacken.

    Noch nicht mal respekt vor dem Tod habt Ihr.

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